Das Pausen einen weiterbringen können, ist ja mittlerweile bekannt. Vor allem in Bezug auf die sogenannte Work-Live-Balance oder ein achtsames Leben. Manchmal helfen Pausen aber auch zu überleben. So ist es in unserem Falle. Ich habe euch ja bereits einen groben Überblick in meinem HEUTE FÜR MORGEN Post gegeben. Jetzt ist es an der Zeit, ein wenig tiefer einzutauchen.
Wie so vieles wird ja auch das Annehmen von Hilfen oft nicht groß thematisiert. Manchmal, weil man einfach nicht gerne über geschäftliche oder private Angelegenheiten spricht oder weil man sich schämt, überhaupt hilfsbedürftig zu sein. Erstes kann ich gut nachvollziehen, schließlich muss man nicht alles teilen. Das ist völlig in Ordnung. Hilfen nicht anzunehmen, kann ich jedoch nicht verstehen, vor allem wenn einem das Wasser bis zum Hals steht und man unverschuldet in diese Situation gekommen ist. Seit Ausbruch der Pandemie geben wir extrem Gas, um WERTE FREUNDE zu erhalten. Wir sind quasi mit 0 Euro Rücklagen in die Pandemie gestartet und sind immerhin bis April 2021 gekommen. Das es uns noch gibt, verdanken wir unter anderem unserer Unterhaltungspower bei Instagram, einem großartigen Team, sicherlich auch der tollen Presse und natürlich und vor allem unseren superduper KundInnen. Ohne euch wären wir schon lange nicht mehr da - DANKE.
Jetzt müssen wir zu dem Part kommen, der hinter den Kulissen stattfindet. Dem Part, dem eigentlich kaum öffentlich ein Einblick gewährt wird. Wir kommen nun also zu den Zahlen und Fakten. Es geht um das Gerüst der Bühne. Ohne dieses Gerüst kann es keine Vorstellungen geben. Seit Beginn der Pandemie im März bis Dezember 2020 konnten wir uns immer irgendwie durchwursteln. Wir haben beispielsweise mit unseren Lieferanten, Vermietern, Banken und Familie und FreundInnen gesprochen. Wir durften Rechnungen später bezahlen oder unsere Miete aufschieben. Familie und FreundInnen haben uns angeboten Geld zu leihen oder anderweitig im Unternehmen zu helfen. Wir haben alles Erdenkliche gemacht und getan, um uns über Wasser zu halten. Wohl wissend, dass manche Maßnahmen, wie z.B. das Aufschieben der Mietzahlungen, mehr eine Problem-Verlagerung als Lösung ist. Ende Dezember 2020, genau genommen am 31.12.2020 war nach unseren Berechnungen fast Schluss mit WERTE FREUNDE. Wir waren am Ende unseres Dispokredits angekommen und ausgerechnet jetzt wurde die erste Rate zur Tilgung unseres Gründungsdarlehens fällig. Die ersten 10T von den insgesamt 380T Euro sollten nun von unserer Hausbank eingezogen werden. Jedoch hatten wir das Geld einfach nicht. Gegen diese Unterdeckung konnten wir nichts mehr unternehmen. Es musste schnell eine neue Lösung her. Wir haben uns einen Finanzberater zur Seite geholt und mit unseren Bürgen und Banken gesprochen. Die Bürgschaftsgemeinschaft Hamburg sah und glaubte an uns und so haben wir Ende Dezember einen weiteren Kredit in Höhe von 130T Euro aufgenommen. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie erleichtert wir waren. Nicht weil wir nun noch mehr verschuldet waren, sondern weil wir erstmal nicht mehr jeden Tag jeden Euro umdrehen mussten. Endlich konnten wir mal durchatmen und unser Überleben nun auch mit ein wenig mehr Spielraum planen.
Das ist nun fast 4 Monate her. Aktuell befinden wir uns immer noch im Lockdown. Streng genommen seit November 2020. Das Weihnachtsgeschäft ist also ausgeblieben und wenn man mal in den Kalender schaut, stellt man fest, dass selbst Ostern nun auch schon rum ist. Wer hätte denn gedacht, dass wir nach Ostern immer noch im Lockdown sind? Der Laden ist nun übrigens seit Beginn der Pandemie fast 5 Monate geschlossen. Kosmetikbehandlungen sind insgesamt 7 Monate nicht möglich und über unsere Events brauchen wir gar nicht sprechen.
Für so viele Branchen gibt es immer noch keine neuen und guten Lösungen. Es geht auf und ab und das treffen von guten und sinnvollen Entscheidungen scheint unserer Regierung schwerzufallen.
Nach unseren aktuellen Berechnungen werden wir ohne Hilfen im Mai bereits wieder am Ende des Geldes angekommen sein und zu allem Überfluss beginnen ca. 6 Wochen später bereits die Herbst Auslieferungen im Bereich Eco Fashion. Es geht hier um ein Volumen von ungefähr 130T Euro. Die Herbstware wird normalerweise über den Verkauf der Frühjahrsware finanziert. Mit einem geschlossenen Laden gestaltet sich der Abverkauf der Frühjahrsware gerade allerdings sehr schwierig. Aktuell haben wir noch 85% der Ware im Laden hängen. Ich nehme mal an, ihr seht das Dilemma nun klar und deutlich. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass vor den Herbstauslieferungen noch die Sommerauslieferungen kommen? Lasst es uns verdrängen. Ich erzähle euch jetzt mal nicht, dass ich demnächst die Winterware bestellen muss. Upsi!
Wir können mit einem geschlossenen Laden nur einen Bruchteil von unserem Überlebens-Umsatz erreichen. Unser neuer Onlineshop kann den Verlust vor allem im Bereich Mode nicht auffangen. Die zwei Wochen Click & Meet im März haben nochmal ganz deutlich gezeigt, welches Geschäftsmodell wir haben. Wir sind ein Laden zum Anfassen und leben von menschlicher Begegnung und echter Beratung. Unser neuer Onlineshop ist momentan lediglich eine Vereinfachung unserer Prozesse. Ein virtuelles Schaufenster, welches sich erst noch zu einem richtigen Onlinestore etablieren muss. Und selbst dann wird der Onlineshop, dass was uns ausmacht, lediglich unterstützen können. Mit unserem Onlineshop und unserem Einsatz auf Instagram schaffen wir momentan nur bis zu 50% von dem, was wir im Monat brauchen, um kostendeckend zu sein. Wir machen also jeden Monat erhebliche Verluste im fünfstelligen Bereich. In Anbetracht der Gesamtsituation brauchen wir nun also dringend eine neue Lösung. Und so kommen wir zum Punkt staatliche Hilfen.
Seit einem Jahr prüfen wir sämtliche Hilfen und fallen immer raus. Ursächlich hierfür ist oftmals, dass die Rahmenbedingungen nur selten auf Start-ups ausgerichtet sind. Die Überbrückungshilfe III kam für uns bekanntlich auch nicht in Frage, weil wir die Umsätze aus unserem Anlaufjahr 2019 unterbieten müssten, um überhaupt antragsberechtigt zu sein. 2019 war das Jahr mit Umsätzen im Bereich „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“. Wir mussten jeden Euro zusammenhalten, um es zu schaffen. Und nun sollen wir dieses Niveau unterbieten, um Hilfen zu bekommen? Absurd, aber ja! Und um wie viel geht es hier? Tja, wir dachten erst, dass es zu wenig ist und es sich nicht „lohnt“ in den Antrag Zeit zu investieren. Lieber Gas geben und versuchen, die Umsätze zu steigern. Leider funktionierte das bisher aber nicht so gut und so haben wir uns doch noch mal näher mit der Überbrückungshilfe III beschäftigt und herausgefunden, dass es sehr viel mehr Hebel als nur die Beteiligung an den Fixkosten gibt. Unsere Herbst/Winter Restanten und Kosten im Bereich Digitalisierung können beispielsweise angerechnet werden. Wir haben uns mit unserer Steuerberaterin zusammengesetzt und unsere Idee mit ihr geteilt und sie hat das Ganze dann überprüft und auf einmal war der Plan da. Wir könnten den Sommer überleben, wenn wir uns an die Spielregeln halten und es geht um mehr als nur einen Teil der Miete. Der Antrag ist nun gestellt und wir sind froh, dass wir uns dem Thema doch noch angenommen haben. Ich möchte an dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass wir uns durch die in Aussicht gestellten Hilfen nicht bereichern und dadurch unseren Gewinn maximieren, sondern unsere hohen monatlichen Verluste verringern. Und um nochmal auf die Pause im April zurückzukommen – ohne Pause wären die finanziellen Verluste trotz maximaler Anstrengung auf jeden Fall um ein Vielfaches höher. Und jetzt seht ihr auch warum die Pause unser Vorankommen ist.
Unserem Beispiel sind nun übrigens schon weitere hart kämpfende und mutige EinzelhändlerInnen gefolgt. Manchmal frage ich mich, woher eigentlich noch die Kraft fürs Aufstehen und Anträge ausfüllen herkommt – muss wohl an der Leidenschaft zum Einzelhandel liegen. Wir wollen WERTE FREUNDE unbedingt erhalten. Für uns alle. It’s a Love Story.
Update vom 01.05.21: Wir haben die Überbrückungshilfe III am 07.04.21 um 12:16 Uhr beantragt. Den Bescheid haben wir am 28.04. um 08:09 Uhr erhalten. Die erste Abschlagszahlung ging am 30.04. auf unserem Konto ein. Nun folgt eine weitere Prüfung des Antrags und dann kommt der zweite Teil der Zahlung. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen wie mental anstrengend die Wochen zwischen Antragstellung und Bescheid waren. Wir haben uns so oft dabei erwischt uns schlecht zu fühlen. Oft habe ich gedacht "Habe ich einen Fehler gemacht?", "Warum melden die sich nicht?" oder "Hat unsere Steuerberaterin das Formular falsch ausgefüllt?". Bei all unserem Mut und unserer Kraft, sind wir doch auch nur verletzliche und zweifelnde Menschen. Seit dem Bescheid haben wir wieder etwas mehr Antrieb, auch wenn uns allen nun gerade vor allem nach einem langem Urlaub an der See mit vielen Büchern und leckerem Essen ist. Ich halte euch auf dem Laufenden.
Vielen Dank übrigens für die tollen Kommentare unter diesem Post. Es ist nicht selbstverständlich, dass ihr mit Vertrauen, Verständnis und Liebe kommentiert. Ich kann leider noch nicht antworten, habe aber unseren Techniker Stefan gebeten mal zu schauen wie wir das lösen können. Wäre schön, wenn ich auch antworten könnte.
Update vom 13.05.21: Am 06.05.21 haben wir den Bewilligungsbescheid im Posteingang gehabt. Einige Tage später war der Restbetrag der Hilfe auf unserem Konto. Oh mein Gott, war das ein gutes Gefühl. Wir haben sofort einen großen Schwung Warenlieferungen bezahlen können. Wir sind mehr als froh, dass wir nun auch unkompliziert Änderungsanträge einreichen können, denn auch die Frühjahrsware wird demnächst zum Problem. Mehr dazu gerne später. Für das Update heute ist super wichtig, dass wir nämlich seit heute Mittag erneut unseren Onlineshop heruntergefahren haben. Da es bis voraussichtlich Pfingsten keine Lockerungen für den Einzelhandel geben wird, müssen wir das Szenario aus dem April nochmal wiederholen. Ach, einen kleinen Unterschied zum April gibt es schon. Ein kleiner Teil des Teams ist im Laden. Für eure Rückgaben, Retouren und für den Umbau auf Sommer im Laden. Freut euch auf den Juni. Der wird bestimmt bombastisch.