Bei unseren Hautpflegeberatungen im Laden kommt die Frage nach einzelnen Wirkstoffen wie Vitamin C, Hyaluronsäure oder Retinol und deren Einsatzkonzentration in Kosmetika gar nicht so selten. Auch für uns Hautpflege-Profis keine einfache Frage! Warum wir uns mit schnellen, allgemeingültigen Antworten zu dem Thema etwas schwertun? Weil die funktionelle Kosmetik ein riesiges und in der Naturkosmetik noch relativ neues Gebiet ist, in das auch wir uns erst einmal einarbeiten mussten. Lasst uns gemeinsam schauen, was sich in den letzten Jahren in der Naturkosmetik getan hat!
Zertifizierte Naturkosmetik und ihr traditionell synergistischer Ansatz
Naturkosmetik hat sich von jeher am Zusammenwirken verschiedener pflanzlicher Wirkstoffe orientiert. Die traditionelle Heilpflanzenkunde mit ihrer genauen Beschreibung und Erfahrungswerte der Signatur der Pflanzen (welche Pflanze wofür?) waren und sind dabei das Vorbild. Die Menschheit hat sich bis zur industriellen Revolution überwiegend mit natürlich hergestellten kosmetischen Mitteln gepflegt. Durch technologische Fortschritte wurde ab Mitte des 18. Jahrhunderts die Massenproduktion von Kosmetik möglich. Die Produkte zeichneten sich durch lange Haltbarkeit, stets gleich bleibende Qualität sowie die Verwendung von immer mehr, teilweise schädlichen synthetischen Stoffen aus.
Die Rückbesinnung auf natürliche Kosmetik fand verstärkt Ende des 20./ Anfang des 21. Jahrhunderts statt. Pionier-Firmen wie Weleda oder Dr. Hauschka stellten bereits deutlich früher ihre anthroposophisch ausgerichteten Präparate her. In den firmeneigenen Heilpflanzengärten wurde von Anfang an großer Wert auf die Qualität der angebauten Pflanzen und deren „Veredelung“ (aufwendige rhythmisierte Herstellungsprozesse) gelegt. Sorgfältig wird bei den Rezepturen auch heute noch auf die Kombination der Pflanzen geachtet. So gibt es Firmen, bei denen Pflanzen, die im Versuchsgarten keine guten Nachbarn sind, selbstverständlich nicht gemeinsam in einen Creme-Tiegel kommen.
Aber auch einige moderne Highend-Naturkosmetikfirmen wie Tata Harper schwören auf „Complex Formulas“ statt auf einzeln ausgelobte, im Labor hergestellte „Hero Ingredients“. Tata´s Luxuskosmetik zeichnet sich dadurch aus, dass so viele rein pflanzliche Wirkstoffe wie für die Haut sinnvoll und möglich in einer Formulierung enthalten sind. Dafür werden Pflanzen aufwendig auf der eigenen Farm kultiviert weitere Rohstoffe werden aus 68 Ländern sorgfältig zusammengetragen und vom hauseigenen Team aus Chemikern und Wissenschaftlern zu wahren „Wirkstoffbomben“ in der berühmten grünen Flasche verarbeitet.
Tata Harper - Next Generation Beauty
Seit Firmen wie The Ordinary und Jungglück in den letzten 10 Jahren sehr erfolgreich funktionelle Kosmetik mit einzeln ausgelobten Inhaltsstoffen auf den Markt gebracht haben, hat sich auch die Nachfrage im Bereich der Naturkosmetik verändert. So wuchs der Wunsch vieler Kund*innen nach naturkosmetischen Äquivalenten zu dieser neuen Art von Produkten.
Naturkosmetikfirmen mussten sich fragen, ob und wenn ja, in welcher Form sie diesen Trend mitgehen wollen und können. Während einige Firmen sich und ihrer bisherigen Linie treu bleiben, haben andere die Herausforderung angenommen und ebenfalls Produkte mit Ceramiden, Vitamin C, Retinol, Niacinamid oder botanischen Alternativen dazu entwickelt.
i+m - Mix & Match Serum Vitamin C Nektar
Farfalla Ultrasens Repair&Calm Cream mit 2% Ceramiden
The Glow Floral Essence mit 2% Niacinamid
Pai - Retinal 0.16% Skin Renewal Booster
MADARA - Botanic Niacinamide Alternative 5-in-1 Serum
Merme – Bakuchiol 3% Facial Serum
Einige funktionelle Wirkstoffe sind für zertifizierte Naturkosmetik nicht zugelassen
Naturkosmetik ist kein geschützter Begriff. Um den Verbraucher*innen Orientierung zu bieten, gibt es verschiedene Naturkosmetiksiegel. Diese regeln je nach Siegel unterschiedlich streng, welche Inhaltsstoffe erlaubt sind und welche nicht. So ist zum Beispiel Harnstoff (Urea), der auch im menschlichen Körper vorkommt und ein sehr hilfreicher Wirkstoff bei trockener Haut sowie bei Verhornungsstörungen sein kann, für die meisten Siegel aufgrund eines zusätzlich notwendigen Verarbeitungsschrittes nicht zugelassen (Ausnahme: das italienische ICEA-Naturkosmtiksiegel).
Bis vor kurzem hätte ich an dieser Stelle auch darüber geschrieben, dass Naturkosmetikfirmen leider auch bei den Retinoiden Retinol und Retinal passen müssen. Für Retinol trifft dies auch immer noch zu. In Bezug auf das besonders wirksame Retinal haben wir da jedoch tolle Neuigkeiten für euch, da eine unserer Lieblingsbrands - Pai - mit dem Retinal Booster erstmalig ein zertifizierbares Retinal auf den Markt gebracht hat, welches aus Mikroorganismen aus rosafarbenen Salzseen gewonnen wird. Das heißt, es handelt sich hierbei um „echtes“, natürliches Retinal und nicht um eine Alternative wie Bakuchiol.
Formulierungen und Derivate
Wirkstoffe in der Kosmetik haben eine bestimmte Funktion: Sie sollen z.B. gegen Falten, Hyperpigmentierung, Elastizitätsverlust oder Hautunreinheiten helfen. Somit stellen sie eine Ergänzung zur Basis-Hautpflege (Reinigung, Feuchtigkeitspflege und Sonnenschutz) dar.
Dabei werden die Wirkstoffe nicht nur in ihrer Reinform angeboten, sondern auch häufig als Derivat (= ein Stoff mit ähnlicher Struktur). Dies hat verschiedene Gründe, v.a. aber geht es um die Stabilität eines Wirkstoffs sowie hautverträgliche Formulierungen.
Zum Beispiel ist Vitamin C extrem oxidationsanfällig, d. h. empfindlich gegenüber Sauerstoff, Licht und Wasser. Reine L-Ascorbinsäure ist sehr wirksam, hat aber einen niedrigen ph-Wert, was nicht von jeder Haut toleriert wird. Von daher greifen viele Hersteller auf Derivate zurück.
Nicht alle Derivate sind gleich wirksam. Auch haben sie unterschiedliche Wirkungen auf die Haut.
Man muss schon ein absoluter Kosmetik-Nerd sein, um da den Überblick zu behalten!
Viel hilft nicht immer viel!
Wenn man sich auf den Accounts einiger Beauty Influencer*innen umschaut, kann man den Eindruck gewinnen, dass man nur ein paar Wirkstoffe in seine Skincare-Routine integrieren muss, um alle Hautprobleme zu lösen. Aber so einfach ist es leider nicht.
Ganzheitlich betrachtet ist die Haut auch ein wichtiges Entgiftungsorgan unseres Körpers und Spiegel unserer Seele. Ungünstige Ernährungsgewohnheiten, Dauerstress, chronische Erkrankungen, Medikamente etc. sind auf unserer Haut sichtbar. Mit einer guten, individuell angepassten Hautpflege kann man viel erreichen. Wunder sollte man aber nicht erwarten.
Bei einer gestörten Hautbarriere empfehlen wir übrigens, vorerst komplett auf „Actives“ wie Vitamin C, Säure-Peelings oder Retinoide zu verzichten, da diese die Haut weiter irritieren und schwächen können.
Generell sollten nicht zu viele Wirkstoffe verwendet werden und nicht alle sind miteinander kombinierbar. Retinoide sollten z.B. nicht gleichzeitig mit chemischen Peelings angewendet werden.
Wir beraten euch gerne dazu, welcher Wirkstoff für eure Haut sinnvoll sein könnte!
Wie ihr seht, ist das Thema Wirkstoff-Kosmetik ein riesiges, spannendes Feld. Wir freuen uns sehr darüber, dass bestimmte Wirkstoffe mittlerweile auch in die Naturkosmetik eingezogen sind.
Wir sind aber auch nach wie vor große Verfechter der synergistischen Hautpflege.
Warum? Weil wir glauben, dass die Natur einen unendlichen Schatz an hoch potenten Wirkstoffen für uns und unsere Haut bereit hält. Ein im Labor hergestellter isolierter Wirkstoff kann eine Bereicherung für ein Produkt, aber kein Ersatz für tolle naturkosmetische Formulierungen sein.
Die kostbaren Pflanzenöle, Buttern, ätherischen Öle und Extrakte sind sogenannte „Vielstoffgemische“.
So sind in Wildrosenöl beispielsweise verschiedene Fettsäuren, Carotinoide und eine Retinol-Vorstufe enthalten. Die natürlichen Fettsäuren werden im Gegensatz zu Silikonen und Lipiden auf Erdölbasis, wie sie häufig in konventionellen Produkten zu finden sind, von unseren Hautbakterien und Enzymen verstoffwechselt und in die Hautbarriere integriert. Die Carotinoide halten unsere Haut und Schleimhäute in gutem Zustand, die Trans-Retinolsäure kann Hyperpigmentierungen abmildern, Fältchen vorbeugen und die Hauterneuerung positiv beeinflussen. Wildrosenöl ist super gut verträglich und für fast jede Haut eine Bereicherung. Darauf wollen wir einfach nicht verzichten!
Aber: Unserer Meinung nach steckt genau in der Kombination, die einige unserer Brands jetzt wagen – einer naturkosmetischen Formulierung, die eine Komposition verschiedener hautphysiologischer Inhaltsstoffe mit Naturkosmetik konformen, funktionellen Wirkstoffen verbindet, ein riesiges Potential für eine individuell angepasste Pflege für eine gesunde, schöne Haut.
Und wie viel Vitamin C, Hyaluronsäure, Retinol und Niacinamide sollte es denn nun sein? Das verrate ich euch in den nächsten Blogposts unserer kleinen Wirkstoffreihe. Versprochen! ;-)
Ein Text von Ann-Kristin